Karten aus Amsterdam
Amsterdam spielte im 17. Jahrhundert eine führende Rolle in der Welt. Innerhalb kürzester Zeit hatte sich die Stadt zu einer der wichtigsten Metropolen in Hinsicht auf Politik, Wirtschaft und Kultur entwickelt. Amsterdamer Kaufleute und Reeder beherrschten mit ihren Schiffen einen großen Teil der Weltschifffahrt. Nach dem Fall des großen Konkurrenten Antwerpen im Jahr 1585 strömten Emigranten aus den südlichen Niederlanden in die Provinzen Seeland und Holland. Diese Neuankömmlinge brachten ihre Kenntnisse von modernem Handel, viel Kapital und ein Netz von internationalen Handelsbeziehungen mit sich.
Die ökonomische Entwicklung Amsterdams in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ging einher mit enormen Entwicklungen in Kunst und Wissenschaft. Eines der vielen Gebiete, auf denen Amsterdam eine führende Rolle einnahm, war die Herstellung von Karten. Dadurch, dass Amsterdam ein Handelszentrum wurde, kam viel geographisches Wissen zusammen. Verleger nutzten diese Kenntnis, um Karten und Atlanten von größter Qualität herzustellen. Viele Karten- und Buchverleger ließen sich im Zentrum Amsterdams nieder, darunter waren Cornelis Claesz, Willem Jansz Blaeu, Jodocus Hondius Senior und seine Söhne Jodocus Junior und Henricus, Joannes Janssonius und Claes Jansz Visscher. Das hohe künstlerische Niveau der gravierten Karten gepaart mit äußerster Genauigkeit der abgebildeten Gebiete führte zu großer Popularität der Amsterdamer Verlagsprodukte. Die Kartenproduktion war sowohl auf den inländischen wie auf den ausländischen Markt gerichtet. Es gab ein so breites Angebot von Karten, dass zu den Kunden Institutionen, Politiker, Studenten, Reisende, Reeder und Kaufleute, aber auch andere Bürger, die ein Interesse an Geographie hatten, gehörten. In Inventarlisten von Verstorbenen werden Karten und Gemälde in einem Atemzug genannt.
Die Verleger boten ihre Karten und Bücher in Katalogen oder sogar in Zeitungsanzeigen an. Die niederländischen Handels- und Entdeckungsfahrten hatten dafür gesorgt, dass Karten eine wichtige Rolle spielten. Man wollte die explosionsartigen Entwicklung von Handel und Verkehr in Europa und Übersee zu Hause auf einer Karte nachvollziehen können. Reeder und Kaufleute gebrauchten Karten nicht nur als Informationsmittel, nein, sie ließen sich auch gerne mit kartographischen Objekten porträtieren, um ihre kosmopolitischen Interessen und Verbindungen zu dokumentieren.
Der Verleger Willem Jansz(oon) Blaeu(w) und sein Konkurrent Joannes Janssonius
Anfang 1599 zog Willem Janszoon [1571-1638] aus Alkmaar nach Amsterdam und kaufte in der Nähe des Hafens ein Grundstück. Er war 1595 für ein halbes Jahr in die Lehre des Dänischen Astronomen Tycho Brahe auf die Insel Hven gegangen. In Amsterdam spezialisierte er sich zuerst auf die Herstellung und den Verkauf von Globen und von astronomischen und nautischen Instrumenten, dann begann er 1604 mit der Anfertigung von Landkarten. Sein erstes Hauptwerk war 1608 das Segelhandbuch Het Licht Der Zeevaart mit 115 Seiten Text und 19 Karten.
Als Joannes Janssonius [1588-1664] als Verleger in Erscheinung trat und 1620 ein zum Verwechseln ähnliches Buch mit gleichem Titel auf den Markt brachte, begann ein Wettbewerb zwischen zwei Firmen, der etwa 50 Jahre andauern sollte. Um mit seinem Konkurrenten nicht verwechselt zu werden, denn sie waren auch Nachbarn in der Innenstadt von Amsterdam, fügte Willem Janszoon 1621 den Namen Blaeu hinzu und gab seine Bücher und Karten unter dem Namen Willem Jansz Blaeu heraus.
Im Jahr 1629 hatte Blaeu 37 Landkarten aus dem Nachlass von Jodocus Hondius Junior, der mit seinem Konkurrenten Janssonius verwandt war, erwerben können. Die Karten von Jodocus Hondius setzten neue Maßstäbe im Gravur-Stil und im Format. Sie basierten nicht mehr auf den Karten, die Gerhard Mercator seit 1585 veröffentlicht hatte. Sie waren etwas größer als die Mercator-Karten, aber doch nur so viel, dass sie gut zu Atlanten zusammengefügt werden konnten. Ihre Kartuschen im Stil zwischen Manierismus und Barock nannte man auch Amsterdam Kartuschen und sie bildeten die Umrahmung für den Kartentitel, aber auch für Maßstabsleisten und Widmungstexte. Die bildlichen Kartuschen hatten oft Beziehung zu den typischen Merkmalen der abgebildeten Landschaft, zu Handel und Handwerk, Viehzucht und Ackerbau.
Jodocus Hondius hatte wohl die Absicht, Exemplare seines geplanten Atlasses mit dem Titel Appendix Atlantis Maioris. Per Iodocum Hondium Anno 1630 auf der Herbstmesse 1629 in Frankfurt vorzustellen. Dazu kam es durch seinen frühen Tod nicht mehr.
Jodocus Hondius schuf auch eine ganz neue Karte der Grafschaft Oldenburg
Heute sind nur einige wenige Exemplare dieses geplanten Atlasses und auch nur ganz wenige Einzelkarten mit dem Impressum von Jodocus Hondius nachweisbar.
Willem Blaeu fügte den von Hondius’ Witwe erworbenen Karten 13 eigene Karten hinzu und gab 1630 seinen ersten Atlas mit Landkarten heraus. Die Hondius-Karten erhielten als neues Impressum den Namen Guiljelm. Blaeuw. Mit der Herausgabe dieses Atlasses wurde das Jahr 1630 zu einem der Wichtigsten in der Kartographiegeschichte.
Der zweite Akt im Konkurrenzstreit zwischen Blaeu und Janssonius
Eines der interessantesten Dokumente der Kartographiegeschichte, der Vertrag zwischen Henricus Hondius, Joannes Janssonius und den Stechern Evert Symontsz Hamersveldt und Salomon Rogiers, sei in gekürzter und übersetzter Fassung hier vorgestellt:
März 1630. Vor mir, Matthijsz Palm, Notar in Amsterdam, sind erschienen die Buchhändler Jan Jansz. und HendrickHondius auf der einen Seite und die Stecher Evert SymontszHamersvelt und Salomon Rogiers auf der anderen Seite. Sie haben zugestimmt, dass die folgenden 36 Karten unter den folgenden Bedingungen hergestellt werden:
1. Groeningen 2. Frisia 3. Rhetia 4. Austria 5. Embden 6. Oldenburg 7. Munster … usw.
Diese 36 Karten sollen 18 Monate nach diesem Tag fertiggestellt sein, sie sollen genau und fein, ja feiner und besser und nicht weniger gut in der Qualität sein, wie die Karten, die den Stechern ausgehändigt wurden. Die Auftraggeber wollen den Herstellern 100 Gulden für jede gestochene Platte und außerdem die Kupferplatte selbst und das Polieren der Platte bezahlen. 500 Gulden werden im Voraus bezahlt damit die Unterzeichner die Arbeiter bezahlen können. Während dieser oben genannten Zeit ist es Jan Jansz und Hendrick Hondius nicht erlaubt, einen der folgenden Stecher zu beschäftigen: Balthasar Floris, Daniel van Breen, Abraham Goos, Dirck Grijp, Salomon Svery oder irgend einen anderen, der für die Unterzeichner arbeitet, ausgenommen Josua van den Ende und Pieter van den Keere …
Dieses Dokument gibt gute Hinweise auf die Kosten der Herstellung von Kupferplatten für den Kartendruck, aber es zeigt auch das skrupellose Vorgehen der beiden Konkurennten von Willem Blaeu, den gemeinsam agierenden Verlegern Henricus Hondius und Joannes Janssonius. Spätestens jetzt sollte jedem klar sein, was man unter abkupfern zu verstehen hat.
Das Ergebnis des Abkupferns bei der Oldenburg-Karte sieht so aus, vergleichen Sie mit der Karte von Blaeu!
Die Entwicklung beider Verlagshäuser im Bereich der Kartenproduktion war in den darauffolgenden Jahren gewaltig. Blaeu nannte seinen Atlas in Anlehnung an das große Werk von Ortelius Theatrum Orbis Terrarum, dieser wurde von Ausgabe zu Ausgabe immer umfangreicher, und es gab auch Atlanten mit französischen, lateinischen und niederländischen Texten. Nach dem Tod Willem Blaeus im Jahr 1638 wurde die Firma von seinen Söhnen Joan und Cornelis weitergeführt. Höhepunkt der Atlaskartographie war dann die Ausgabe des Atlas Maior mit bis zu 14 Bänden, die insgesamt 600 Karten enthielten. In dieser letzten Ausgabe finden wir dann auch einen 2. Zustand der Oldenburg Karte mit einem vergrößerten Wappen.
1672 erlebte die Firma Blaeu ihr jähes Ende, denn durch einen Brand wurde die Druckerei, damals sicher eine der modernsten und größten der Welt, bis auf die Grundmauern zerstört.
Die Oldenburg-Karte im English-Atlas von Moses Pitt 1683
Auch Johannes Janssonius glänzte mit der Herausgabe von immer umfangreicheren Atlaswerken, sein Prunkstück hieß auch Atlas Maior und umfasste 11 Bände. Nach seinem Tod im Jahr 1664 wurde die Firma von seinem Schwiegersohn Joannes Jannsonius van Waesberge fortgesetzt. Dieser gab dann später in Zusammenarbeit mit den englischen Verlegern Moses Pitt [1638-1697] und Stephan Swart viele Janssonius-Karten im English Atlas (London und Oxford) heraus. So kam auch die Kupferplatte der Grafschaft Oldenburg nach England, wo sie aber nur kurz blieb, um nach dem Konkurs von Pitt wieder in die Niederlande zurückzukehren.
Pitt hatte zwei neue Kartuschen von Jan van den Avele stechen lassen, eine für den Titel und eine für die Maßstabsangabe. Außerdem legte er über seine Karten ein Gitternetz, hier im Abstand von 5´ bei den Breitengraden und 10´ bei den Längengraden. Pitt benutzte einen anderen Ausgangsmeridian als Janssonius, so dass Oldenburg nicht mehr auf dem Längengrad 31° östlicher Länge sondern auf 24° 20´ östlicher Länge liegt. Die Seitenzahl im Atlas wird auf seinen Karten durch römische Ziffern rechts oben angegeben.
Die Druckplatte kehrt nach Amsterdam zu den Verlegern Schenk und Valk zurück
Mit seinem Schwager Gerhard Valk kaufte Peter Schenk im Jahr 1694 einen Teil der Druckplatten der Firma Johannes Janssonius, die aus England nach Amsterdam zurückgekehrt waren. Beide fügten ihre Namen in die von Pitt geschaffenen neuen Titelkartuschen ein. Außerdem wurden die römischen Ziffern getilgt.
Wir können bei dieser Karte sehen, dass der Abdruck der Karte aufgrund der ca. 70 Jahre langen Nutzung der Kupferplatte sehr flau ist. Ausgenommen sind die Kartuschen, die erst für die Ausgabe des English Atlas von 1683 neu in die Kupferplatte gestochen wurden.
Bei der Recherche zu diesem Blog entdeckte ich ein Exemplar dieser Oldenburg-Karte, bei der die Ziffern der Pitt-Karte noch nicht gelöscht waren.
Siehe: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Oldenburg_comitatus_-_CBT_5873570.jpg
Wir haben also gesehen, dass bei keiner der Oldenburg-Karten im Laufe von etwa 70 Jahren das kartographische Bild verändert wurde, sondern es war wichtigstes Anliegen der Verleger, die erworbenen Kupferplatten zu weiteren Kartendrucken zu verwenden, um einen entsprechenden Gewinn zu erzielen.
Aber es gibt natürlich auch andere Gründe für das Verändern einer Karten-Kupferplatte. Erwarten kann man, dass Fehler auf der Originalplatte durch Ausklopfen der Platte gelöscht werden und das korrekte Kartenbild neu eingraviert wird. Manchmal war auch die 2. Fassung noch nicht in Ordnung, so dass ein weiterer Plattenzustand nötig wurde. Bei den in der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts im Verlag Homann erschienen Karten ist dies häufiger anzutreffen.
Auch Veränderungen durch Herrschaftswechsel von Gebieten konnten zu neuen Karten von der alten Kupferplatten führen. Selten ist die Tatsache, dass eine Kupferplatte verkleinert wurde. Dies geschah u.a. mit der berühmten Ostfriesland-Karte von Ubbo Emmius. Grund dafür war, dass man die Emmius-Karte auf Atlasformat bringen wollte. So können verschiedene Kartenzustände viel über die Geschichte von Verlegern und Kartenmachern erzählen.