Im Jahr 1749 wurde in Nürnberg bei dem bekannten Verlag für kartographische Materialien, Homanns Erben, eine Karte mit einem französisch-deutschen Doppeltitel veröffentlicht. Der Kupferstich gab eine Zeichnung von L. S. Bestehorn aus dem Jahr 1732 wieder und war – in heute fehlerhafter Schreibung – betitelt als: „Perspectivische Vorstellung des berühmten Blocken oder Blokenbergs mit der jenigen Gegend, so weit solche von dem, der auf der Spitze des Berges stehet, gesehen werden kann“. Nach dem Titel versucht die Karte also etwas für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts noch Ungewohntes: Sie bildet die Panoramasicht vom Brocken ab, der hier in seiner Bezeichnung als Blocksberg benannt wird. Und dennoch stellt die Karte technisch kein Panorama dar, wie man es von der Spitze des Brockens sehen würde, wenn man sich um die eigene Achse in 360° dreht. Der Kartograph hat sich vielmehr entschieden, die Karte in der traditionellen Form der Vogelschauperspektive anzulegen, bei der der Prospekt der umliegenden Berge mitsamt dem Brocken als Mittel- und Bezugspunkt von einem imaginären erhöhten Sichtpunkt außerhalb des Bildes dargestellt wird. Erklären lässt sich diese Darstellungsweise ganz leicht: Bestehorn verfügte noch nicht über die Technik der Panoramadarstellung. Sie wird sich erst mit dem Aufkommen der begehbaren Rundpanoramen als räumliche Darstellungsweise entwickeln. Zwar gab es bereits im 16. und 17. Jahrhundert Ansätze, sogenannte „Prospecte“ in panoramaähnlicher Form darzustellen, insbesondere bei Stadtansichten oder im Falle von Festzügen. Bekanntestes Beispiel der hannoverschen Geschichtsüberlieferung ist der repräsentative, allegorische Festzug auf dem venezianischen Canale Grande, den der um Rangerhöhung bemühte Fürst von Calenberg, Ernst August I., späterer Kurfürst, mit seinem Prestigedruck Givochi Festivi 1686 in einem über vier Meter langen Bild festhalten ließ. Aber auch dies war kein Panorama, das ein Bild von einem Standpunkt aus im Kreise darstellte. Erst 1755 wird das erste wissenschaftliche Panorama eines Gebirgszuges von Jacques-Barthélemy Micheli du Crest gedruckt. Und Robert Baker sollte am 19. Juni 1787 das technische Patent zum Panorama anmelden. Dem Erfolg des Rundbildes insbesondere im 19. Jahrhundert waren die Tore geöffnet. Für die Brockendarstellung kam diese Entwicklung zu spät.
Und so bietet die Karte das Umland des Brockens in Vogelschauperspektive. Neben über 70 zumeist unbenannten Gipfeln wird das Gebiet des Harzes zwischen Quedlinburg, Halberstadt, Wernigerode und Clausthal-Zellerfeld wiedergegeben, also Gebietsflächen, die heute den Bundesländern Niedersachsen und Sachsen-Anhalt zugeordnet werden. Nur wenige topographische Eigenheiten des Harzes werden auf der Karte erwähnt, darunter die Burg Regenstein und die Anmerkung: „hier entspringen 3 Flüsse, die Ecker, Ilse und Lupbode.“ In insgesamt 24 Buchstaben werden in einer Kartusche im linken oberen Kartenbereich zudem einige besondere Orte bezeichnet. Darunter bezieht sich knapp die Hälfte auf die schaurige Blocksbergüberlieferung als Hexentreffpunkt, der andere Teil bezieht sich auf topographische Anmerkungen oder ökonomische Hinweise. So wird das „Hütten Werck Schierke“ ebenso erwähnt wie die Anmerkungen zu einem Fluss: „so bey dem Münch vorbey flieset, wo vielmahls Gold-Sand gefunden worden“. Gegenstand der Darstellung sind nicht die bisweilen komplexen Gebietszugehörigkeiten der Karte. Die territoriale Verteilung der politisch zum Teil begehrten und im 18. Jahrhundert in den Fokus der Wissenschaft tretenden Bergbaulandschaft ist kein Interessensgegenstand der Karte.
Als Kuriosität der Karte wurden schon früh die sechs über den Harz fliegenden Hexen auf ihrem Weg zu einem Hexentanz auf der Spitze des Brockens angesehen. Auf der Spitze selber sind zwei Hexen zu erkennen, die zusammen tanzen. In der Legende wird der diesem Tanz zugeordnete Buchstabe B denn auch aufgelöst als „der fabulose Hexen-Platz“. Allerdings kam diese Anspielung auf die Sagen um den berühmten Blocksberg dem Zeitgeist der Aufklärung nicht entgegen. Verlegerisches Kalkül, eine interessante Karte mit fiktionalem Anteil zu vertreiben, widersprach dabei der wissenschaftlichen Erwartungshaltung der Aufklärungszeit.
In einer neuen Auflage der Karte anlässlich der Walpurgisnacht aus dem Jahr 1751 hatte der Verlag dann zwar nicht den Kupferstich der Karte geändert, wohl aber die Kartuschen, die den Text enthielten. Als Zugabe sah sich der Verlag genötigt, linksseitig die Erklärung einzudrucken, es sei „zu verwundern, daß sich einige über die Hexenfiguren aufgehalten haben, die doch nur der Kupferstecher aus seiner eigenen Phantasie und damit seinen Spott zu treiben, hinzugefügt. Stehet denn nicht unter dem Buchstaben B ‚der fabulose Hexenplatz‘? Aus diesem hätte man ja die Meinung der Herausgeber beurtheilen sollen.“ Zudem erwähnt die Karte in der deutschen Titelkartusche in einer Anmerkung den Bericht von Johannes Praetorius. Der bekannte Barockautor hatte im Jahr 1668 einen geographischen Bericht samt einer Erzählung „von der Hexenfahrt und Zauber-Sabbathe, so auff solchen Berge die Unholde aus gantz Teutschland jährlich den 1. Maij in Sanct-Walpurigs-Nachte anstellen sollen“ (Titelblatt), drucken lassen. Die Karte stand damit in ihrer Abbildung in der Tradition der berühmt-berüchtigten Sagenüberlieferungen um den Hexensabbat in der Walpurgisnacht. Der Praetorius-Verweis war bereits auf dem Druck des Jahres 1749 angegeben. Auf diese Tradition aber mit einem gesonderten Eindruck, der einer Rechtfertigung gleichkommt, zur Walpurgisnacht des Jahres 1751 hinzuweisen, mag auch dem Ziel gelten, tagesaktuell Interesse für das Verkaufsobjekt herzustellen. Nichtsdestotrotz mag diese Karte der Aufklärungszeit auch deshalb ihrer Zeit erklärungsbedürftig gewesen sein, da sie in einem Zeitalter erscheint, das sich um die Abschaffung des noch teilweise in Europa grassierenden Hexenglaubens bemühte und für triviale Formen des Aberglaubens – trotz allerlei magisch-alchemistischer Praktiken – nur wenig übrig hatte.
Gleichwohl konnte auch diese Anmerkung des Verlags nicht dazu führen, dass die Karte eine wissenschaftliche Anerkennung erhielt. Zwar gilt sie heute als Vorzeigeobjekt der Blocksbergüberlieferung und wurde zuletzt von Dietrich Hertel als Beleg dafür anerkannt, dass der Brocken bereits im 18. Jahrhundert keine bewaldete Kuppe aufwies. In der wissenschaftlichen Welt des 18. Jahrhunderts wurde die Karte jedoch wenig geachtet. Im Jahr 1786 urteilte der spätere berühmte Forstwissenschaftler Christoph Wilhelm Jacob Gatterer in seiner im Verlag der Witwe Vandenhoeck in Göttingen erschienen Anleitung, den Harz und andere Bergwerke mit Nutzen zu bereisen, die Karte biete „eine recht elende Abbildung, die noch dazu mit Hexen geschmückt sei“ (S. 92). Christian Friedrich Schröder sollte die Karte 1785 in seiner Abhandlung vom Brocken gänzlich in Frage stellen: „Diese Charte giebt eine so ganz unrichtige Vorstellung von dem Ansehen des Brocken aus der Ferne, und von dem Prospekt vom Brocken aus in die Ferne, sie ist so ganz unrichtig, bildet ihn so ganz falsch ab, daß ich beynahe glauben möchte, sie sey nicht von Bestehorn, sondern von einem andern, der den Brocken nie mit Augen gesehen und ihn blos aus dem Kopfe gezeichnet hätte. Nicht zu gedenken, daß diesem Berge der falsche Nahme Blocken- oder Blockenberg gegeben, und nach demselben eine Hexenfarth von menschlichen Gestalten mit fliegenden Haaren auf Besen, Ofengabeln, Ziegenböcken und dergleichen, so wie oben auf dem Berge ein Hexenballet abgebildet worden; so stellet sie nur einen ganz kleinen Theil, den ich kaum den fünfzigsten nennen kann, von der weiten Aussicht vor, die man von ihm hat. Sie giebt dem Brocken eine ganz falsche Gestalt, und drückt nicht einen seiner hohen, zu ihm gehörenden, ihn unterstützenden mitursprünglichen Berge aus.“ (Aufl. 1794, S. 57). Erst im 19. Jahrhundert wurde der Karte in der von Kesterstein in Weimar gedruckten Zeitschrift Teutschland geognostisch-geologisch dargestellt ein ästhetischer Wert zugesprochen, da sich „die nach dem Brocken reitenden und dort tanzenden Hexen (…) gar schön ausnehmen“ (Bd. VI, S. 328).
Das Exemplar der GWLB ist eine handkolorierte Variante des Druckes aus dem Jahr 1749. In der Farbgebung sticht der Brocken aufgrund des verwendeten dunkleren Grüntons gegenüber den umliegenden hellgrünen Landschaften ab. Die Städte und Felsen wurden flüchtig mit einem roten Farbton, der bisweilen ins Rotbraune fällt, koloriert. Die Karte zeigt mit ihrer Machart und Wirkungsgeschichte die Perspektiven, wie kartographisches Material in der Frühen Neuzeit vertrieben und genutzt wurde. Ein beiläufiger Scherz ohne jegliche diskursive Wirkung oder ohne Verkaufskalkül war dieses Hexenballett keinesfalls.
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Weiterführende Literatur
Praetorius, Johannes: Blockes-Berges Verrichtung oder ausführlicher geographischer Bericht von den hohen trefflich alt- und berühmten Blockes-Berge: ingelciehn von der Hexenfahrt und Zauber-Sabbathe, so auff solchen Berge die Unholden aus gantz Teutschland jährlich den 1. Maij in Sanct-Walpurgis-Nachte anstellen sollen. Aus vielen Autoribus abgefasset und mit schönen Raritäten sampt zugehoerigen Figuren (…). Leipzig, Frankfurt a. M. 1668.
Hertel, Dietrich: Waldgrenze am Brocken ist natürlichen Ursprungs! In: Der Harz. Zeitschrift für Harzer und Freunde des Harzes. 03/2012.
Links
Es erschien zunächst aussichtslos so eine perspektivische Darstellung des Harzes auf eine heutige Online-Karte einzumessen. Dennoch kann es als gelungenes Experiment angesehen werden. Außerdem kann min in die schönen Details einzoomen:
https://mprove.de/chrono?q=51.80145,10.67853&z=9.74&m=LH100632939&o=0.9&r=-145