Der 10-DM-Schein, der in Deutschland von 1992 bis 2002 in Umlauf war, hat Carl Friedrich Gauß (1777–1855) in der Bevölkerung populär gemacht. Er war einer der genialsten Universalwissenschaftler seiner Zeit auf den Gebieten der Mathematik, Physik, Astronomie, der Geodäsie und Kartographie. Vor genau 200 Jahren, im Jahre 1821, begann mit Gauß als Zentralfigur die erste exakte Vermessung des Königreichs Hannover und der angrenzenden Territorien. Er führte von 1821 bis 1825 persönlich die Vermessungen mittels Triangulation im Gelände aus. Die Karten mit den Ergebnissen des groß angelegten Vermessungsprojekts u.a. wurden von August von Papen zwischen 1832 bis 1847 im „Topographischen Atlas Des Königreichs Hannover und Herzogthums Braunschweig“ publiziert.
Am 9. Mai 1820 erfolgte per Kabinettsorder durch das Königliche Kabinettsministerium auf Anordnung von König Georg IV. der Auftrag an Gauß für die Gradmessung des Königreichs Hannover. Erstmals wurde damit ein großflächiger Staat mit damals höchstmöglicher Genauigkeit vermessen und in Landkarten dargestellt. In der ersten Stufe von 1821 bis 1823 sollte der Anschluss bis Hamburg an das bereits vermessene dänische Triangulationsnetz (1816 bis 1821) geschaffen werden. In der zweiten Stufe von 1824 bis 1825 folgte der Anschluss an das niederländische Netz, das bis Jever und Varel reichte.
Gauß war schon damals ein weltweit anerkannter Professor an der Universität Göttingen. Er verfügte wie kein zweiter auf der Welt über das theoretische Wissen in der Mathematik, der Geometrie und der Rechentechnik und besaß darüber hinaus die Bereitschaft, die praktischen Arbeiten im Gelände über Jahre hinweg persönlich auszuführen. In dieser Zeit vernachlässigte der bereits 44jährige Gauß seine wissenschaftlichen Forschungen und ließ während der Vermessungsarbeiten im Gelände seine Vorlesungen in Göttingen in den Sommersemestern von 1821 bis 1825 ausfallen. Sobald das Wetter es zuließ, vom späten Frühjahr bis in den Oktober hinein, vermaß Gauß im Gelände an exponierten Punkten, auf Bergkuppen und Kirchturmspitzen. War die Sicht zu anderen trigonometrischen Punkten behindert, musste diese mitunter freigelegt werden, d. h. Bäume wurden beschnitten oder gefällt und ganze Schneisen geschlagen. Am Abend und in der Nacht wertete Gauß meist noch die Daten aus und führte Berechnungen durch. Er reiste mit einem gefederten Reisewagen und die Instrumente wurden in einem gefederten Hospitalwagen der Artillerie transportiert. Die Mitarbeiter reisten entweder ebenfalls mit einem Wagen oder zu Pferd. Die Kommunikation erfolgte durch Briefe, die durch Boten oder mit der Post transportiert wurden und auch mittels Lichtsignalen mit dem Heliotrop – ein Kraftakt ohnegleichen!
Sein Messprinzip war die Triangulation, das Messen von Winkeln in Dreiecken, die puzzleteilartig über das Land gelegt wurden. Die geniale Kernidee der Triangulation besteht in der Tatsache, dass bei derartigen Dreiecksketten nur eine einzige Strecke (Dreiecksseite) genau bekannt sein muss. Alle anderen Dreiecksseiten können dann über die Winkelmessung mit einfachen mathematischen Formeln exakt berechnet werden. Gauß musste diese eine Dreiecksseite (Basislinie) nicht selbst längenmäßig bestimmen; er konnte auf die im Spätsommer 1820 bei Braak (östlich von Hamburg) durchgeführte Basisvermessung zurückgreifen. Um die Genauigkeit seiner Winkelmessungen zu steigern, beobachtete Gauß die Richtungen bis zu 120 Mal – eine Vorgehensweise, die viele Tage in Anspruch nehmen konnte. Anschließend errechnete er einen repräsentativen Mittelwert. Die Genauigkeitssteigerung erfolgte durch die Anwendung der von Gauß 30 Jahre zuvor entwickelten „Methode der kleinsten Quadrate“. Dieses Ausgleichsverfahren ist bis heute in seiner simplen Logik unübertroffen und millionenfach im Einsatz. Im Anschluss an die Winkelmessungen waren aufwendige Berechnungen mittels Logarithmentafeln bis zur Erstellung von Koordinaten im Gauß’schen System notwendig.
Mit der präzisen Vermessung von Göttingen bis Hamburg und deren Anbindung an das vorhandene dänische Netz verfolgte Gauß zusätzlich das Ziel, die Figur und die Abmessungen der Erde exakt zu errechnen. Einfach gesagt heißt das, den Erdradius in Mitteleuropa zu ermitteln. An verschiedenen Stellen der Erde fanden Gradmessungen entlang von Meridianen statt. C. F. Gauß setzte mit seinem Messprinzip und der ausgleichenden Berechnung Maßstäbe für die Landesvermessungen weltweit, die Ihresgleichen suchen. Das von Gauß perfektionierte Triangulations-Messverfahren war das Beste, bis ca. 1960 die elektronische Streckenmessung über viele Kilometer möglich wurde. Gauß erreichte bei seiner Vermessung eine Genauigkeit der Strecke zwischen der Nordsee und Göttingen von rund 20 Metern.
Die 5 Triangulations-Dreiecke und ihre Messpunkte im Nordwesten
Bremerlehe (Gauß: 6. bis 14. Juni 1825)
Hier war es die Dionysiuskirche (Alte Kirche) an der Ecke Lange Straße/ Poststraße, die als Messpunkt fungierte. 1868 wurde der alte Turm erhöht. Die Beobachtungseinrichtungen gingen spätestens in diesem Zuge verloren. Carl Friedrich Gauß logierte 1825 im Wirtshaus der „Madame Muhl“, dessen mangelnde Qualität seinem Befinden schadete.
Varel (Gauß: 14. bis 26. Juni 1825)
Die markante Schlosskirche diente Carl Friedrich Gauß als Beobachtungsstation und als Zielobjekt. Das Wetter war schlecht und seine Arbeiten verzögerten sich hier um 6 Tage. Dafür beobachtete er eine Lichtspiegelung, wobei er ein scheinbar über dem Wasser schwebendes Schiff wahrnahm.
Langwarden (Gauß: 27. Juni bis 12. Juli 1825)
Einen heute nicht mehr vorhandenen Dachreiterturm der Laurentius-Kirche nutzte Gauß für seine Messungen in Langwarden. Hierzu musste Gauß von außen über Gerüste und Leitern auf das Dach zum kleinen Turmreiter gelangen. Zum Aufstellen seiner Instrumente wurde die Glocke aus dem Dachreiterturm entfernt. Langwarden war ein wichtiger Knotenpunkt, ein Vermessungspunkt erster Ordnung. Von hier wurden im Nordwesten die umfangreichsten Messungen vorgenommen. Das Haus, in dem Gauß und seine Offiziere von Mai bis Juli 1825 Quartier fanden, wurde 2016 aufwendig saniert und damit erhalten.
Jever (Gauß: 15. bis 19. Juli 1825)
Der Schlossturm aus dem 14. Jahrhundert mit der barocken Haube von 1736, der bereits bei früheren Triangulationen als Beobachtungsstation gedient hatte, wurde auch von Carl Friedrich Gauß genutzt. Sein Beobachtungsplatz auf der Westseite der Plattform ist heute nicht mehr erhalten, allerdings sind am Trägerwerk der Kuppel noch genau die von G. W. Müller beschriebenen Kerben der Sichtbarmachung der Anschlussrichtung nach Langwarden vorhanden.
Wangerooge
Der Alte Westturm von 1602 stand mitten im alten Dorf. Durch die Drift der Insel, schon weit im Wasser stehend, wurde er 1914 aus militärischen Gründen gesprengt. In dem alten Kirchturm befand sich im 1. Obergeschoss eine Kirche mit 90 Sitzplätzen. Laut G. W. Müller soll die Laterne des Turms für ein Aufstellen der Instrumente zu wackelig gewesen sein. Der Turm war ursprünglich 58 m hoch. Heute erinnert die alte Helmstange von 1826 vor dem Alten Leuchtturm noch an den alten Westturm.
Neuwerk
Der alte Leuchtturm von 1310 war im Juni 1825 die nördlichste Spitze des Dreiecks, dessen andere Eckpunkte durch Bremerlehe und Langwarden gebildet wurden. Die Besetzung des Turmes mit einem Heliotrop wurde von dem Leiter der Sternwarte in Altona, dem Astronom und Schüler von Gauß H. Schumacher, organisiert, als Anschluss an das von ihm bereits vermessene dänische Netz.
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