Flusskarten haben ein ungünstiges Format, das liegt auf der Hand. Um in einen Atlas aufgenommen werden zu können, müssen die gedruckten Blätter so aufgeteilt sein, dass zwei oder mehr Teile übereinander eine gute Darstellung des Verlaufs ergeben. Auch gerahmt an der Wand machen sich diese schmalen und langen Formate eher nicht so gut. So ist es nicht verwunderlich, dass zum Beispiel die Weser-Karte, um die es hier geht, in nur in ganz wenigen Exemplaren ihrer ersten Fassung erhalten geblieben ist.
Das mag insofern erstaunen, als diese Karte circa 15 Jahre lang nur in ihrer ursprünglichen Form zu erwerben war. Erst im Jahre 1658 nahm der Amsterdamer Verleger Joan Janssonius (1588-1664) die Weser-Karte in seinen „Novus Atlas Absolutissimus“ auf. Dieser Atlas bestand aus 11 Bänden, in denen alles an Land- und Seekarten sowie Stadtansichten und -plänen zusammengefügt war, was für Janssonius nur irgendwie zu erreichen gewesen war. In dem Bestreben, das umfangreichste Werk der Zeit heraus zu geben, griff er selbstverständlich auch auf die Weser-Karte zurück. Der Konkurrent Joan Blaeu (1596-1673) folgte 1662 mit seinem „Atlas Major“ in gleichem Umfang, womit der Wettstreit der beiden großen Niederländischen Verlage dann aber auch zu einem Ende gekommen war.
Leider ist es bisher nicht gelungen, das Datum der ersten Veröffentlichung der Weser-Karte zu bestimmen. Der Herausgeber Janssonius in Amsterdam ist bereits mehrfach genannt. Fest steht auch der Name des Stechers der Kupferplatte, Jan van Loon, der am unteren Kartenrand vermerkt ist. Dieser arbeitete wiederholt für Janssonius und war vor allem auf dem Gebiet der Seekarten tätig.
Doch ist jüngst durch Herrn Dr. Sven Mahmens die Grundkarte, die handgezeichnete Urfassung der Karte, (wieder-)entdeckt worden. Sie befindet sich im Niedersächsischen Landesarchiv, Standort Oldenburg.
Es ist ziemlich selten, dass die Originalzeichnung einer Kupferstich-Karte erhalten geblieben ist. Auch diesem Exemplar sieht man sein Alter deutlich an. Es handelt sich um eine Zeichnung auf Papier in den Abmessungen 145 x 50 cm. Diese Grundkarte ist ganz offensichtlich nach vorangegangenen Vermessungen entstanden. Sie ist deutlich genauer hinsichtlich der Zuordnungen und der Details als die Karte der Grafschaft Oldenburg durch Johann Conrad Musculus. Diese konnte in Oldenburg erst 1650 gedruckt werden, obwohl sie vermutlich bereits in den zwanziger Jahren gezeichnet worden war. Auch auf der handgezeichneten Weserkarte finden sich weder Hinweise auf den Zeitpunkt der Entstehung noch auf den Namen des Zeichners.
Feststehen dürfte immerhin, wer der Auftraggeber für diese Weser-Karte war. Aufschluss darüber gibt der Widmungstext in der rechten unteren Ecke der gedruckten Karte. Von Putten umrahmt steht auf einer birnenförmigen Tafel die Widmung an die „großartigsten, edelsten (etc.) Konsuln und Senatoren der „Freien Reichsstadt Bremen“. Über dem Widmungstext halten zwei Putti den Bremer Schlüssel.
Eine ganz ähnliche Widmung findet sich auf der Karte „Nobilis Fluvius Albis“, der Elbe-Karte aus dem Jahre 1633. Die Karte war ebenfalls im Verlag Janssonius herausgegeben worden, und zwar in einem der letzten Atlanten, die noch unter dem Namen „Merkator-Atlas“ zusammengestellt worden waren. Die „höchstgestellten, gelehrtesten und stolzesten Senatoren und Konsuln“ der „Republik Hamburg“ werden als Adressaten genannt, und sie sind zweifellos auch die Auftraggeber gewesen. „Mit größter Sorgfalt und durch das Bemühen verschiedener berühmter Künstler zusammengestellt“, ist das Werk schließlich durch Johann Janssonius „ans Licht gebracht“ worden, so der Text der Zueignung.
Für die Bremer Ratsherren und Senatoren war diese Elbe-Karte ganz offensichtlich das Vorbild. Ihnen ging es dabei insbesondere um die Hervorhebung ihres Anspruchs auf den Status einer „Freien Reichsstadt“ und damit um die Befreiung von der Beherrschung durch den Bremer Erzbischof. Um dieses Ziel zu erreichen, war ihnen sogar das Mittel der Urkundenfälschung recht gewesen. Sie hatten wiederholt Kopien einer angeblich verschollenen Urkunde aus dem Mittelalter vorgelegt. Im Jahre 1646 waren sie damit schließlich erfolgreich und erhielten am 1. Juli den lang ersehnten Titel vom Kaiser verliehen. Diese Aufwertung war nicht nur mit extrem hohen „Gebühren“ verbunden gewesen, sondern sie führte auch zu deutlich höheren Abgaben und Verpflichtungen in der Folgezeit.
Die erste gedruckte Fassung der Weser-Karte (Abb. 05) hat die Abmessungen 103 x 37 cm und ist damit um etwa 28 % kleiner als die Manuskriptkarte. Da man auf diese Weise mit nur zwei Kupferplatten auskommen konnte, war damit eine beachtliche Materialeinsparung erreicht worden. Diese Möglichkeit war von vornherein durch den Zeichner eingeplant gewesen. Er hatte ein feines Netz aus kleinen Quadraten über die ganze Karte gelegt. Mit Hilfe eines Reduzier-Zirkels konnten Punkte von der ersten Karte auf ein zweites Blatt übertragen werden, das die gleiche Anzahl an Quadraten aufwies, aber in der gewünschten Verkleinerung. Die Verbindungen wurden dann freihändig nachgezeichnet.
Noch stärker verkleinert war eine entsprechende Karte aus dem Verlagshause Merian. Sie war 1653 in die „Topographia Saxoniae Inferioris“ aufgenommen worden und hatte die Abmessungen 71 x 30 cm. Sie war damit nur etwa halb so groß, wie die gezeichnete Ursprungskarte. Die Merian-Karte ist auch insgesamt einfacher gestaltet, ging es doch bei den insgesamt 16 Bänden der „Topographia Germaniae“ vor allem um die Darstellung der Städte, Burgen und Schlösser.
Apropos Stadtansichten: Die hochgelobten Bremer Ratsherren waren anscheinend etwas knauseriger gewesen als ihre Hamburger Amtsbrüder. Auf der insgesamt aufwendiger gestalteten Elbe-Karte ist auch eine schöne Ansicht der Stadt Hamburg wiedergegeben. Auf der Weser-Karte fehlt eine Abbildung Bremens, obwohl eine solche leicht zu beschaffen gewesen wäre: Bereits 1572, im ersten Band der Stadt-Ansichten von Braun und Hogenberg, war eine Abbildung der Stadt Bremen wiedergegeben worden – gemeinsam mit der von Hamburg.
Die Geschichte der Weser-Karte – bzw. die ihrer Kupferplatten – ist damit beschrieben. Aber es bleiben noch Fragen:
Wer waren die „varii formosique auctori“, die berühmten Künstler? Kamen sie alle aus den Niederlanden, oder waren auch lokale Mitarbeiter dabei?
Zweitens: Wann genau ist die Manuskriptkarte entstanden?
Und natürlich noch: Wie kommt eine „Bremer“ Karte in das Oldenburger Staatsarchiv? Das Verhältnis zwischen der Stadt Bremen und der Grafschaft Oldenburg war während der gesamten ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts äußerst angespannt. Aber das ist eine andere Geschichte.
Frage zu Karte Abb 05 : Besteht diese Karte auch aus ursprünglich 4 Teilen? Für spätere Ausgaben wäre zu erforschen, ob es Angaben für den Drucker/Verleger gibt, wie die Teile der Weser-Karte zu montieren sind.