Karten weisen vielfältige kleine Details auf, die ihren eigentümlichen Quellenwert ausmachen. Gleich zwei technische Neuerungen weist das 1826 gedruckte Panorama vom Münsterthurm zu Strassburg auf: zum einen ist es die zirkumpolare Darstellung, die in der Panoramadarstellung zum Zeitpunkt der Entstehung recht neu ist. Zum anderen weist der abgebildete Mittelpunkt des Panoramas, der Strassburger Münster, von dessen Türmen aus die Darstellung aufgezeichnet wurde, eine Neuerung auf, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einigen Stadtbildern auf Türmen mit weiten Sichtschneisen zu sehen war, heute aber fast ausschließlich fehlt: Apparaturen der optischen Telegrafie. Damit bedient dieses Panorama neben dem Aussagegehalt zur Topographie der Stadtlandschaft Strassburgs gleich zwei unterschiedliche informationstechnische Diskurse seiner Zeit.
Beide haben ihre Verbreitung und Begrenzung zugleich. So hat es die optische Telegrafie nie umfassend durch die Flächen des späteren Landes Niedersachsen geschafft. Lediglich eine bereits vor 1800 diskutierte Kommunikationsverbindung zwischen Hamburg und Cuxhaven konnte 1838 in den Betrieb genommen werden, 1847 folgte eine Verbindung zwischen Bremen und Bremerhaven, die allerdings angesichts der fast zeitgleich in Betrieb genommenen technischen Telegrafielinie auf der gleichen Strecke wohl nicht ganz konkurrenzfähig war. In Teilen des ehemaligen Herzogtums Braunschweig verlief zwischen 1832 und 1849 die preußische optische Telegrafenlinie, die eine Strecke von knapp sechshundert Kilometern zwischen Berlin und Koblenz in unter fünfzehn Minuten, verteilt auf über sechzig Telegrafenstationen, bewältigte. Allerdings verlief auch diese Anlage an der Residenz- und späteren Provinzialhauptstadt Hannover vorbei, so dass die das Stadtbild prägende Marktkirche keine Anlage aufwies, wie sie sich in der Sammlung der GWLB auf dem Rundpanorama des Nebenturms des Strassburger Münsters überliefert hat. Gleichwohl war das Thema en vogue, immerhin hatte bereits die Neue Allgemeine Deutsche Bibliothek im Jahr 1799 gemeldet, dass „die Anwendung der Fernschreibekunst, in allerley Rücksicht der Staatsverwaltung, und für viele Theile der bürgerlichen Gesellschaft, grosse Vorteile“ aufweise. (NADB, 54. Bd. (1799), 1. Stück, S. 89). Im Falle des Strassburger Münsters verlief die staatlich und militärisch genutzte Kommunikationslinie gen Paris über 52 Stationen und benötige etwas länger als die preußische Variante, obwohl das genutzte System des französischen Technikers Claude Chappe mit den auf der Karte sichtbaren Balken als schneller im Vergleich zur preußischen Variante galt. Strassburgs Netzanschluss war zeitweilig der Knotenpunkt zu weiteren europäischen Städten: 1809 ließ Napoleon eine Linie nach Wien einsetzen, die allerdings anstelle des Chappe-Systems ein System mit drei Tüchern in der Farben blau, weiß und rot nutzte. Dieses System hatte aber offenbar Verbindungsschwierigkeiten: bei Inbetriebnahme konnte es nicht von allen militärischen Einrichtungen entziffert werden, selbst vom Kriegminister nicht, das Handbuch der Dechiffrierung fehlte anfangs und die Zeichen waren offenbar nicht ausreichend komplex, um Details zu übermitteln. Komplexere Vertragstexte wurden denn auch per Boten nach Strassburg gebracht und von dort nach Paris optisch telegrafiert.
Neben diesem kleinen Balkensystem des Datenstroms auf dem Turm der Kirche ist die gesamte Konzeption der Karte eine Neuerung. Das Panorama ist, so hatte Bruno Weber bereits 1985 in seinem Aufsatz Formen und Funktion älterer Panoramen festgestellt, „als weitwinkliger Darstellungstyp von Landschaftsporträts ursprünglich nicht eine künstlerische Aufgabe, sondern ein topographisches Darstellungsproblem, das mit künstlerischen Mitteln gelöst wird, nämlich die Veranschaulichung einer partiellen oder totalen Rundsicht im Gelände“ (S. 257). Im vorliegenden Fall der zirkumpolaren Rundkarte stellt sich das Problem der Perspektive, die einen Kreis um einen Mittelpunkt zieht. Während das klassische Gemälde nur einen Ausschnitt des Sichtraumes des Zeichnenden darstellt und damit die Frage der Perspektive auf einen begrenzten Raum beschränkt ist, dreht sich die Perspektive im Rundpanorama Punkt für Punkt mit. Dass diese Form der Darstellung eine Herausforderung für die Ausführenden war, zeigt eine Panoramakarte, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der Säule des hannoverschen Waterlooplatzes fotografiert wurde. Die Technik der Fotografie ermöglichte zwar die Abbildung der Wirklichkeit, im Schwenk als Panorama mussten jedoch, ein Jahrhundert vor der Panoramafunktion des Smartphones, einzelne Bilder zusammengesetzt werden. Das Ergebnis sind verschobene Gebäudeflügel als Ergebnis der perspektivischen Verschränkung, da mehrere Bildteile zusammengefügt wurden, die statische Aufnahmen mit je unterschiedlichen Perspektiven enthielten.
Für den Strassburger Münster gibt es bereits sehr früh in der Geschichte der technisch reproduzierbaren Darstellung der Stadt ein wichtiges Beispiel eines Versuchs der Kartierung der Stadt von der Spitze der Kathedrale aus. Conrad Morandt hatte 1548 einen aufwändig produzierten Holzschnitt mit den Blattmaßen 85,9 x 68,1 cm angefertigt. Dabei ist der Holzschnitt auf Leinwand gezogen, die Münsterfassade als separates Element ist als Holzschnitt auf Pergament geklebt. Morandt hat die Fragestellung der Perspektive komplex beantwortet, indem er die Häuserblöcke am Münster anfänglich blockweise ausrichtete und später die Karte mehrfach verschränkte, um die perspektivische Krümmung mit der Topografie der Stadt in ein passendes Verhältnis setzen zu können. Etwas früher, 1530, hatte vermutlich Hans Sebald Beham auf Veranlassung von Niklas Meldemann den Druck „der stadt Wien belegerung“ anfertigen lassen, eine Rundsicht, bei der die optische Verschränkung durch die Wölbung des Projektionsgrundes kugelförmig gemildert wurde.
Im 19. Jahrhundert waren Rundpanoramen sowohl als Gebäudetyp mit großformatigen, gerundeten Stadt- oder Kriegsszenen ebenso in Mode gekommen wie die oftmals daraus resultierenden kleineren Roll- oder Leporellobilder. Ein ganz ähnliches Bild zum Strassburger Münster zeigt ein 1811 von Johann Friedrich Morgenstern und Bernhard Hundeshagen gedrucktes Rundbild. In diesem Fall war der Druck jedoch nur die Orientierungskarte zu dem 1810 hergestellten begehbaren Rundbild Frankfurts, das, so die Überlieferung, bei einem Transport zum nächsten Ausstellungsort 1816/17 bei Forchheim bei Bamberg in Flammen aufgegangen war.
Das 1826 von Samuel Johann Jakob Scheuermann gestochene und von Franz Schmid kartografierte Panorama vom Münsterthurm zu Strassburg hingegen konnte bei seinem Erscheinen bei Heinrich Keller im Jahr 1826 offenbar nicht auf ein bestehendes Rundpanoramagebäude verweisen, sondern steht im Kontext der Faszination am damaligen höchsten Bauwerk der Welt. Ob die Karte allerdings von der Plattform oder von der Turmspitze, die bereits Goethe zum Auskurieren seiner Höhenangst genutzt hatte, gezeichnet wurde, ist nicht ganz geklärt. Angesichts der Erwähnung nur der wichtigsten Besichtigungsorte der Stadt im Kartenbild dürfte es sich bei dem Druck um einen typischen Verkaufsartikel zum Strassburger Münster handeln, wie sie bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gängig waren. Dafür dürfte auch die explizite Erwähnung des Telegraphen sprechen.
Weiterführende Literatur
Sehsucht – das Panorama als Massenunterhaltung des 19. Jahrhunderts. Anläßlich der Ausstellung „Sehsucht, das Panorama als Massenunterhaltung im 19. Jahrhundert“ vom 28. Mai bis 10. Oktober 1993 in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn hrsg. von der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland. Frankfurt a.M. 1993.
Oettermann, Stephan: Das Panorama – die Geschichte eines Massenmediums. Frankfurt a.M. 1980.
Weber, Bruno: Formen und Funktionen älterer Panoramen. Eine Übersicht. In: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte. Bd. 42 (1985), S. 257-268.
Paech, Hans-Jürgen; Grundwaldt, Ludwig; Schwarz, Albert: Optische Telegrafie: Übertragungsmodalitäten und Inhalt der Depeschen. Potsdam 2021.