Die königliche Reiseroute – Eine Verbindung von Hannover nach London 8. November 2021 / Von Björn Schreier / Kommentar verfassen / Kurfürstentum Hannover Niedersachsen war stets international ausgerichtet, und kaum eine Epoche verdeutlicht dies mehr als die Zeit der Personalunion zwischen 1714 und 1837, als die Kurfürsten bzw. Könige von Hannover zugleich die Herrscher über das britische Weltreich waren. Zahlreiche Dokumente zeugen von dieser durch komplexe Verflechtungen geprägten Zeit: Bücher, Handschriften, Urkunden, goldene Briefe und nicht zuletzt Karten. Doch wie war dieses unzusammenhängende Reich miteinander verbunden? Wie reisten die Herrscher zwischen dem britischen und dem hannoverschen Teil? Die hier vorgestellte Karte vermittelt hierüber einen kleinen Einblick: Dargestellt ist ein Teilstück der Strecke, die die britischen Könige während der Personalunion zwischen ihrer Londoner Residenz und ihrer alten Heimat Hannover zurücklegen mussten. Konkret handelt es sich vermutlich um eine Reise Georgs II. (1683–1760), britischer König ab 1727: Von seiner Rückreise von Hannover nach London ist hier das Teilstück bis zum niederländischen Holten abgebildet. Entstanden ist die handgezeichnete Karte wahrscheinlich zu Beginn der Regierungszeit Georgs III. (1738–1820), der von 1760 bis zu seinem Tod als britischer König herrschte. Von diesem ist jedoch bekannt, dass er Hannover nie besuchte. Allerdings wurde für den Sommer 1766 ein Besuch Georgs in Hannover erwartet, weshalb bereits im Vorjahr die Hofgärtner von der Hofgartenverwaltung aufgefordert wurden, einen Kulturplan für das kommende Jahr vorzulegen. Es erscheint also möglich, dass mit Hilfe dieser Routenkarte der letzte Hannoverbesuch Georgs II. im Jahr 1755 rekapituliert werden sollte, um den erwarteten (aber letztlich nicht erfolgten) königlichen Besuch Georgs III. besser planen zu können. Auffällig ist die besondere Darstellungsform: Nicht – wie bei Karten üblich – ein Territorium, eine Landschaft oder Ähnliches wird dargestellt, sondern ein Streckenverlauf. Wie bei einer Expeditionskarte durch unbekanntes Terrain ist lediglich das an den Routenverlauf unmittelbar anschließende Landschaftsbild zu sehen: anliegende Dörfer und Städte, Wälder und Weiden, überquerte Flüsse und Territorialgrenzen und – von besonderer Wichtigkeit für Reisende – die Relaisstationen, die sich im Abstand von einer bis drei Calenberger Landmeilen à 9,32 km befinden. Aus dieser linearen Kartendarstellung ergibt sich das ungewöhnliche, dem Darstellungsgegenstand jedoch angemessene Kartenformat. Darstellungsform sowie Kartenformat erinnern an die vom schottischen Kartographen John Ogilby (1600–1676) geschaffenen strip maps seines Britannia-Atlas. Dieser Kartentyp der Streifenkarten entwickelte sich in der Folgezeit bis heute zu einer beliebten Form der Abbildung für Verkehrswege. Ogilbys Karten waren ein Prototyp moderner Straßenatlanten, nahmen aber auch schematisierte Darstellungen von Streckenverläufen (Topogramme wie z. B. Streckendiagramme von Bahnlinien und Fernstraßen) vorweg. Bei aller Ähnlichkeit zu diesen strip maps weist die vorliegende Karte aber einen wesentlichen Unterschied auf: Sie ist keine Handreichung für Reisende, sondern dokumentiert eine einzelne, bereits erfolgte Reise. Grundlage für die zeitliche Einordnung der Karte sind insbesondere die aus dem Kartenbild ersichtlichen kulturlandschaftlichen und territorialen Gegebenheiten. Mehrere Anzeichen deuten auf die Entstehung in den 1760er/1770er-Jahren hin: Im Steinhuder Meer ist bereits die Festungsinsel Wilhelmstein eingezeichnet. Die Aufschüttung der Insel erfolgte ab 1761, die Festung wurde 1767 fertiggestellt. Die Stadtbefestigung Hannovers ist noch einschließlich ihrer Bastionen dargestellt. Die Schleifung der Festungsanlagen begann bereits 1763; erst in den 1780er Jahren erfolgte die endgültige Abtragung der Wälle und Bastionen und die Anlage von Straßenzügen auf dem ehemaligen Festungsareal (z. B. Georgstraße). Die Reise verlief auf dem damals üblichen Postweg von Hannover über Stolzenau, Diepenau, Osnabrück und Rheine nach Holland; dieser ist in Thomas Jefferys‘ Map of the King of Great Britains Dominions in Germany (ca. 1760) deutlich als „Post Road from Holland to Hanover“ eingetragen. Die häufige Nutzung dieses Weges durch die Mitglieder des britischen Königshauses drückt sich heute noch in der volksmündlichen Bezeichnung „Königsweg“ für den Abschnitt zwischen Kreuzkrug und Diepenau aus. An den Verlauf der Poststraße erinnern sowohl auf der deutschen als auch auf der niederländischen Seite zahlreiche Straßennamen wie „(Alter/Oude) Postweg“ und „Alte Poststraße“. Im Zuge des zu Ende des 18. Jahrhunderts einsetzenden Chausseebaus wurde jedoch die weiter nördlich verlaufende Trasse über Nienburg/Weser, Sulingen und Diepholz zur Chaussee nach Osnabrück ausgebaut (wodurch das preußische Westfalen weiträumig umgangen wurde), später dann auch die südliche Trasse über das schaumburgische Bückeburg und das preußische Minden. Dementsprechend führen in Hartmanns und Piepers Post-Charte von dem Koenigreiche Hannover (ca. 1840) die Chausseeverbindungen nach Osnabrück über Nienburg im Norden bzw. Minden im Süden; die alte Poststraße ist dagegen nur als „unchaussierter Weg“ (und zwischen Rehburg und Stolzenau nicht einmal mehr als das) aufgeführt. Schon in der 1805 in überarbeiteter Auflage erschienenen Neu vermehrte[n] Post Charte der Chur Braunschweigischen und angrenzenden Lande von Friedrich Wilhelm Ohsen ist der Abschnitt des alten Postweges zwischen Stolzenau und Bohmte nur noch als „Beÿ Weg“ ausgewiesen; die Hauptwege der reitenden und fahrenden Post verlaufen bereits über die nördliche Route. Die Karte gibt die Territorialstruktur des ausgehenden 18. Jahrhunderts vor der Auflösung der Fürstbistümer Osnabrück und Münster im Reichsdeputationshauptschluss (1803) und den napoleonischen Erwerbungen wieder. Nach dem französischen Zwischenspiel gelangten 1815 die Gebiete des Fürstbistums Osnabrück sowie der Grafschaft Bentheim an das Kurfürstentum Hannover, die des Oberstifts Münster an Preußen. Festzuhalten bleibt, dass diese Karte einen Wegeverlauf abbildet, der aufgrund der Personalunion von einer gewöhnlichen Poststraße zur Hauptverkehrs- und -kommunikationsachse zwischen Residenz und Stammland der britischen Könige avancierte, mit der späteren Entwicklung des Verkehrsnetzes durch den Chausseebau jedoch wieder an Bedeutung verlor. Nicht nur vom König, seinem Hofstaat und seinen Beamten wurde die Straße genutzt, sie diente auch der Übermittlung von Nachrichten und Dokumenten zwischen London und Hannover. Als ein prominentes Beispiel sei der Goldene Brief des myanmarischen Königs Alaungphaya an Georg II. genannt, der 1758 von London aus an die Hofbibliothek zu Hannover, die Vorgängereinrichtung der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek, weitergeleitet wurde. Es ist anzunehmen, dass der auf der Karte abgebildete Streckenverlauf der letzten Etappe der langen Reise des Goldenen Briefes von Myanmar nach Hannover entspricht. Postweg und Relaisstationen: Lizenz: CC BY SA 4.0 Karten: Route von Hannover bis ins Hollaendische welche Ihro Koenigliche Maiestaet von Gross Britannien beyhoechst Deroselben Ruckkehr nach Engeland genommen nebst der Anzeige der saemtlichen RelaisZeichner: C. L. G. Krause, nach 1760 Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek, Mappe XIX, C, 230 A Map of the King of Great Britains dominions in Germany, or the electorate of Brunswick-Luneburg with its dependencies : containing the dutchies of Lunenburg, Calenberg, Grubenhagen, Lauenburg, Bremen & Verden, and the counties of Danneberg, Hoya, Diepholt & Hohenstein Kartograph: Thomas Jefferys, ca. 1760 Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek Post Charte von dem Koenigreiche Hannover und den angrenzenden Lændern Kartograph: F. Hartmann, ca. 1840 Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek, Mappe XIX, A, 16, Neü Vermehrte Post-Charte Der Chur Braunschweigischen Und Angrenzenden Lande Kartograph: Friedrich Wilhelm Ohsen, 1805 Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek, Mappe XIX, A, 13,